Die Einstellung und Einarbeitung neuer Mitarbeiter ist zentraler Bestandteil operativer Personalarbeit. Verantwortliche des Personalmanagements haben gute Gründe, die Fluktuation von Mitarbeitern möglichst gering zu halten, denn diese kostet zeitliche als auch finanzielle Ressourcen. Besonders bei der Besetzung von Fachkräften kann der Prozess einige Zeit in Anspruch nehmen. Kapazitäten werden vor allem für die Sichtung geeigneter Bewerber sowie für Vorstellungsgespräche und deren Nachbereitung beansprucht. Muss das Recruiting auf Personaldienstleister zurückgreifen, um passende Kandidatenvorschläge zu erhalten, wird das Budget darüber hinaus belastet.
Zusätzlich kann eine offene Stelle auch versteckte Kosten durch zurückgehende Produktivität verursachen oder den Ablauf eigentlich eingespielter Prozesse ungünstig beeinflussen. Hinzu kommen Aufwendungen durch eine eventuelle Fehlbesetzung oder die Entgeltfortzahlung an den gekündigten Mitarbeiter. Schätzungen mehrerer Studien zufolge summieren sich die Kosten pro Fluktuation in deutschen Unternehmen auf Beträge im fünfstelligen Bereich.
Mitarbeiterzufriedenheit und Kündigungsabsicht
Der Zusammenhang zwischen der Mitarbeiterzufriedenheit und der Kündigungsabsicht ist erwartungsgemäß moderat bis stark negativ. Oder mit anderen Worten: Je zufriedener der Mitarbeiter, desto unwahrscheinlicher seine Kündigung. Im Rahmen von Mitarbeiterbefragungen ist es inzwischen methodischer Standard, zum einen die Zufriedenheit mit den wichtigsten Bereichen abzufragen als auch die Gesamtzufriedenheit. Durch die gewonnenen Ergebnisse können Veränderungsprozesse eingeleitet und es kann in kritischen Feldern gegengesteuert werden.
Flankierend dazu kann eine Analyse der Kündigungsabsicht hilfreich sein. Es sollen die Faktoren identifiziert werden, die in einem Unternehmen entscheidend dafür sind, ob ein Mitarbeiter sich neu orientieren möchte. Kennt man den Einfluss und die Stärke dieser Faktoren, so können gezielt Maßnahmen eingeleitet werden, um Kündigungen und somit Fluktuation zu vermeiden. Welche statistische Methode dazu genutzt werden kann, soll in diesem Fachbeitrag beschrieben werden.
Kündigungsabsicht erfragen – Praxisbeispiel aus dem Mittelstand
Im Rahmen einer umfassenden Mitarbeiterbefragung in einem mittelständischen Unternehmen der Industriebranche mit 650 Mitarbeitern wurden zusätzlich auch die Kündigungsabsicht der Mitarbeiter erfragt. Neben einem standardisierten Fragebogen, der die Mitarbeiterzufriedenheit in verschiedenen Bereichen abfragte, wurde die Kündigungsabsicht explizit mit der Frage:
„Haben Sie vor, das Unternehmen in der nächsten Zeit zu verlassen?“
erhoben. Als Antwortoptionen wurden „ja“ oder „nein“ angeboten. Nach Abschluss der Mitarbeiterbefragung zeigte eine erste deskriptive Analyse, dass immerhin elf Prozent die Frage bejahten. Der überwiegende Teil, nämlich 89 Prozent wollte dem Unternehmen weiterhin treu bleiben. Es galt nun zu analysieren, welche Faktoren konkret in diesem Unternehmen die Kündigungsabsicht beeinflussten und in welchem Ausmaß.
Der Einfluss der Zufriedenheit und demografischer Variablen auf die Kündigungsabsicht lässt sich am besten mithilfe von Abbildung 1 verdeutlichen. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes multivariates Modell. Dabei werden beispielhaft vier Bereiche ausgewählt, von denen der Einfluss auf die Kündigungsabsicht aus der letzten Mitarbeiterbefragung bekannt ist. Zusätzlich werden als demografische Variablen das Geschlecht und die Altersklasse berücksichtigt. In Summe wird der Einfluss von sechs Variablen untersucht.
Abbildung 1: Einfluss von Zufriedenheit und demografischer Variablen auf die Kündigungsabsicht
Das statistische Modell: die binäre logistische Regression
Bei der Zielgröße Kündigungsabsicht handelt es sich um eine binäre Variable, da nur zwei Antwortoptionen angeboten wurden. Eine Antwortskala mit mehr Stufen hatte sich in der Vergangenheit als wenig verlässlich herausgestellt. Als multivariates Analyseverfahren kommt nun die binäre logistische Regression zum Einsatz. Mit ihr ist es möglich, die Wahrscheinlichkeit der Kündigungsabsicht statistisch zu modellieren.
Abbildung 2: Wahrscheinlichkeitsfunktion
Aus Abbildung 2 wird deutlich, dass die Wahrscheinlichkeit zu kündigen, eine Funktion der sechs Einflussgrößen ist. In unserem Beispiel konstituieren sich die Einflussgrößen aus der Zufriedenheit mit den vier exemplarisch ausgewählten Bereichen und den beiden demografischen Variablen. Ist die Wahrscheinlichkeit kleiner als 50 Prozent, wird der Mitarbeiter der Gruppe der „Nichtkündiger“ zugeordnet. Ist die Wahrscheinlichkeit größer als 50 Prozent, wird er als „potenzieller Kündiger“ klassifiziert. Anhand der individuellen Ausprägungen der Einflussgrößen jedes Mitarbeiters wird die Wahrscheinlichkeit für dessen Kündigungsabsicht ermittelt.
Die Bedeutung und Interpretation der Odds Ratios
Die logistische Regression ermittelt für jeden Faktor einen Parameter, der die Stärke und die Richtung des Einflusses auf die Kündigungsabsicht quantifiziert. Aus den Regressionsparametern können die sogenannten Odds Ratios berechnet werden, die final interpretiert werden. Mathematisch handelt es sich bei einem Odds Ratio um den Quotienten zweier Chancen.
Ein Beispiel: Liegen die Odds für ein Ereignis, zum Beispiel, dass ein bestimmtes Pferd ein Rennen gewinnt bei 1:3 und für ein anderes Pferd bei 1:6, so ergibt sich ein Odds Ratio von (1/3) / (1/6) = 2. Das bedeutet, die Siegchancen für das erste Pferd sind doppelt so hoch (wegen OR = 2) im Gegensatz zum zweiten Pferd. Ein Odds Ratio von 1 bedeutet, dass es keinen Unterschied gibt, Werte kleiner als 1 zeigen eine geringere Chance oder Risiko an. Dieses Konzept können wir auf die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung übertragen, beispielsweise wenn wir Frauen und Männer vergleichen. Um die ermittelten Odds Ratios auch tatsächlich interpretieren zu können, werden sie zusätzlich auf statistische Signifikanz getestet – eine Art Absicherung gegen zufällig zustande gekommene Ergebnisse.
Einfluss in den einzelnen Bereichen
Nach Abschluss der Mitarbeiterbefragung wurden die beschriebenen Analysen durchgeführt (siehe dazu Abbildung 3). Schauen wir zunächst, welche Variablen einen signifikanten Einfluss auf die Kündigungsabsicht haben. Bei den Zufriedenheiten sind das die Variablen Arbeitsplatzsicherheit und Nachhaltigkeit. Um die signifikanten Odds Ratios zu interpretieren, ist es hilfreich, sich die zugrunde liegenden fünfstufigen Antwortoptionen vor Augen zu führen.
Je höher der Wert, desto zufriedener ist der Mitarbeiter. Für die Arbeitssicherheit wurde ein signifikantes Odds Ratio von 0.84 berechnet. Das bedeutet, dass mit jeder Steigerung einer Stufe auf der Zufriedenheitsskala (zum Beispiel von 2 auf 3 oder von 4 auf 5) das Risiko einer Kündigung sinkt, da 0.84 < 1. Ein Ergebnis, das intuitiv richtig erscheint: Je zufriedener der Mitarbeiter bezüglich der Sicherheit seines Arbeitsplatzes, desto geringer ist seine Kündigungsabsicht. Sie fällt durchschnittlich um 1 − 0.84 = 0.16 pro Stufe der Antwortskala.
Abbildung 3: Ergebnisse der logistischen Regression
Auch die Nachhaltigkeit des Unternehmens hat mit einem Odds Ratio von 0.89 einen signifikanten Einfluss, der etwas schwächer ausgeprägt ist. Aber auch hier gilt: Je zufriedener die Mitarbeiter, desto geringer ist das Risiko einer Kündigung. Diesen beiden Bereichen sollte also besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, mit dem Ziel, die Zufriedenheit der Mitarbeiter zu verbessern.
Welche Ausprägungen der Zufriedenheit in einzelnen Bereichen für die Kündigungsabsicht entscheidend sind, muss von Unternehmen zu Unternehmen individuell betrachtet werden. So sehr sich Unternehmen in ihrer jeweiligen Kultur und ihrem Personal unterscheiden, so verschieden können auch die Einflüsse und die Ergebnisse der Analyse sein.
Einfluss demografischer Variablen
Für den Block der beiden demografischen Variablen konnte für die Variable Altersklasse ebenfalls ein signifikanter Einfluss nachgewiesen werden (OR = 1.95). Hier beschränkte man sich auf eine Einteilung mit nur zwei Klassen, wobei die erste Klasse Mitarbeiter älter als 40 Jahre waren und die zweite Klasse sich aus Mitarbeitern zusammensetzte, die jünger als 40 Jahre alt waren. Das signifikante Odds Ratio von 1.95 offenbarte große Unterschiede zwischen den beiden Altersklassen:
Das Risiko einer Kündigung ist bei jüngeren Mitarbeitern fast doppelt so hoch wie bei älteren Mitarbeitern – ein deutlicher Unterschied und ein wichtiger Erkenntnisgewinn für das Unternehmen. Auch wenn jüngere Menschen allgemein eher zu einem Jobwechsel neigen als ihre älteren Kollegen, so ist dieser Effekt doch besonders stark ausgeprägt. Auch dieser Befund sollte Grundlage für personalpolitische Maßnahmen sein und weiter untersucht werden. Als nachfolgende Analyse kann ein dezidierter Vergleich der beiden Altersgruppen sinnvoll sein. Statt demografischer Variablen können auch unternehmensrelevante Variablen, wie beispielsweise der Unternehmensbereich, einbezogen werden.
Insgesamt konnten durch die Analyse von den insgesamt sechs Einflussfaktoren drei als relevant für die Kündigungsabsicht identifiziert werden. Tatsächlich werden in der Praxis bei diesen multivariaten Techniken noch mehr Faktoren berücksichtigt.
Kündigungsabsicht analysiert
Eine erhöhte Mitarbeiterfluktuation ist mit erheblichen Kosten und der Inanspruchnahme von verschiedenen Ressourcen verbunden. Fundamentales Ziel operativer und strategischer Personalarbeit ist es, gute Mitarbeiter langfristig an das Unternehmen zu binden – stellt ihre Leistung doch den Generalfaktor für den Unternehmenserfolg dar. Sind Mitarbeiter unzufrieden und beabsichtigen, das Unternehmen zu verlassen, kann im Rahmen von Mitarbeiterbefragungen die Kündigungsabsicht zusätzlich erfragt und analysiert werden.
Da die Gründe für eine Kündigung deutlich zwischen Unternehmen oder Zeitpunkten variieren können und von unternehmensspezifischen Eigenschaften wie Größe, Standort oder Branche abhängen, sind die individuellen Ergebnisse für das einzelne Unternehmen von außerordentlicher Bedeutung. Die Methode hilft somit auch, die Wirtschaftlichkeit, die Wettbewerbsposition und den Unternehmenserfolg langfristig zu sichern und zu stärken.